Angedacht

 

 Mögen Sie den November?

Wir packen in dieser Zeit die Wintersachen wieder raus, auf dem Fahrrad wird es merklich kühler und manchmal unangenehm nass, das Auto statten wir wieder mit Eiskratzern und Winterreifen aus. Kurzum, es ist ein kalter und dunkler Monat. Im November haben wir uns auch schon an die Paletten mit Spekulatius und Dominosteinen im Supermarkt gewöhnt. Sie lassen uns auch darüber nachdenken, wo wir eigentlich den Christbaumständer im letzten Jahr verstaut haben. Nicht zuletzt schleicht sich ein leicht beklemmendes Gefühl ein, weil zündende Geschenkideen für Familie und Freunde noch fehlen. Sie merken, im November steckt viel drin.

Unser Kirchenjahr neigt sich dem Ende entgegen, die Leichtigkeit des Sommers verfliegt auch in den Texten der letzten Sonntage im Kirchenjahr. Wir erinnern am Volkstrauertag der Toten von Krieg und Gewaltherrschaft – der Opfer der beiden Weltkriege und des Nationalsozialismus. Wir erinnern an die Opfer der aktuellen Kriege in der Welt. Der Buß- und Bettag steht für Besinnung und Neuorientierung: Wir bringen Versagen und Schuld, Versäumnisse und Fehlentscheidungen im Gebet vor Gott. Und am Ewigkeitssonntag gedenken wir unserer Verstorbenen in den Gottesdiensten. Diese liturgisch so besondere Zeit macht uns bewusst, dass wir in einer Welt leben, in der nicht alles nur wohl geordnet ist. Die Wirklichkeit macht kein erlöstes und befreites Gesicht. Es wird gestorben, es wird gelitten, ein Seufzer durchzieht die Zeit, eine tiefe Sehnsucht nach Frieden durchzieht uns. Wir stehen manchmal ohnmächtig vor dem Leid der Welt - und vor unserem eigenen Leid.

Aber können und sollen wir hier stehen bleiben? Ja, sicher, die Klage, das Unbegreifliche des Lebens hat seinen Platz. Wut und Trauer über den Zustand dieser Welt sind nötig und stehen gegen die ermüdende „Alles ist gut“-Rhetorik. Es ist nicht alles gut. Aber gerade deshalb sind wir als Christinnen und Christen gefordert, in den Wald hineinzurufen: „Wann endlich verwandelst du, Gott, die Welt? Wann endlich, Gott?“ Wann wischst du, Gott, die Tränen ab, lässt die Seufzer verstummen und erfüllst endlich unsere Sehnsucht? Die Hoffnung ist darum genauso wichtig wie die Liebe. Paulus sagt im Römerbrief: Denn wir sind gerettet auf Hoffnung hin. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? Röm 8,24. Wir können Hoffnung nicht sehen und fühlen, sie ist uns als Menschen aber ins Herz gepflanzt. Wenn Hoffnung in uns wohnt, dann wagen wir zu fragen:

Wann endlich reißt der Heiland den Himmel auf, wie wir im Advent singen? Wann kommt der Herr der Herrlichkeit? Diese Hoffnung versetzt uns in Spannung und Erwartung. Sie richtet uns aus - auf Gott hin. Wer hofft, sehnt sich umso mehr und seufzt umso lauter. Hoffnung macht alles intensiver. Sie führt uns noch dichter heran an Gott.

Als Hoffnungsträger, als Hoffnungsträgerin seufze ich, sehne ich mich nach dem ganz Anderen. Wir leben in der Hoffnung auf die Ankunft Jesu in dieser Welt: Ankunft. Advent. Und der November endet mit diesem Advent – ein neues Kirchenjahr beginnt. Und mit jeder Kerze, die wir in der kommenden Advents- und Weihnachtszeit entzünden, bekennen wir unsere Hoffnung, tragen wir unser Hoffnungs-Licht in die Dunkelheit der Welt. Klagend, seufzend zwar, aber mit der glühenden Hoffnung auf das ganz Andere, auf das ganz Neue.

November – wir sind gebunden in der Welt. Aber gehalten in Hoffnung und verbunden in der Liebe.

 

Pfarrer Thilo Neuhaus

 

 

 

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Es ist ein Widerspruch, der gar nicht größer sein kann: In einer Kirche, die sich Nächstenliebe und Hilfe für Schwache auf die Fahnen schreibt, wurde vielen Menschen sexualisierte Gewalt angetan von Kirchenmitarbeitenden. Dabei können wir uns nicht im Windschatten der katholischen Kirche ausruhen. Auch in der ELKB wurden seit 1950 bislang 166 Fälle gemeldet, diese Zahl umfasst gemeldete Übergriffe und strafrechtlich relevante Taten. Das beschäftigt und beschämt uns.

Was passiert nun? Die Landessynode hat Ende 2020 ein Präventionsgesetz  erabschiedet; eine Selbstverpflichtung, alle Arbeitsbereiche in Kirche und Diakonie auf Risiken zu überprüfen und Vorkehrungen zu treffen, damit sexualisierte Gewalt erst gar nicht passiert – oder, wenn doch, rasch und konsequent gehandelt wird.

Ein Präventionsteam führt Schulungen in allen Bereichen der Landeskirche durch, sensibilisiert so für das Thema und hilft bei der Erarbeitung von Schutzkonzepten. Auch unsere Kirchengemeinde wird ein solches Schutzkonzept erarbeiten – nicht, um es in einer Schublade abzulegen, sondern um das Thema wach und präsent zu halten.

Eine EKD-weite wissenschaftliche Studie des Forschungsverbunds ForuM hat auch Einsicht in die Akten der bayerischen Landeskirche. Sie soll herausfinden, welche Strukturen in der Kirche sexualisierte Gewalt begünstigen.

Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm bittet Betroffene, sich zu melden (bei der Ansprechstelle für sexualisierte Gewalt - sie ist erreichbar unter Telefon unter 089 5595-335 oder per Email: AnsprechstelleSG@elkb.de). Betroffene werden dort beraten und unterstützt – etwa durch Therapiestunden oder einen unabhängigen Anwalt. Betroffene, deren Fall strafrechtlich verjährt ist, können durch die Unabhängige Kommission finanzielle Anerkennungsleistungen erhalten. Diese mit Fachleuten besetzte Kommission vergibt Leistungen bis zu 50.000 Euro.